Band: Simulacrum
Album: Genesis
Spielzeit: 61:23 min
Stilrichtung: Progressive Metal
Plattenfirma: Frontiers Music s.r.l.
Veröffentlichung: 12.02.2021
Homepage: www.simulacrum.fi
Offenbar verhelfen Lockdowns Metalbands zu mehr Zeit, um über ihr Songwriting nachzudenken, zumindest würde das die Menge an Progressive Metal erklären, die ich in letzter Zeit auf den Tisch gelegt bekomme. Eine von ihnen ist SIMULACRUM aus Finnland, die bereits 1999 gegründet wurde (womit sich die These dann auch wieder erledigt hätte) und gerade einmal 13 Jahre später ihr Debut veröffentlichte. Nun gibt’s Album Nr. 3, “Genesis”, das über eine Stunde lang ist, zur Hälfte, wie sich das gehört, aus einem Konzeptpart besteht und ein klassisch spirituelles Albumcover inklusive Planeten, Schneidersitz, Dreieck und Yin&Yang-Symbol vorweisen kann. So weit, so gut.
Die Produktion ist stabil, das Konzept mit zwei Sängern funktioniert bestens, gerade weil sie nicht im altbekannten “Einer lieb, einer growlt”-Schema agieren und die Truppe kennt sich zweifelsohne mit der Funktionsweise von Musik aus.
“Genesis” ist an sich melodisch, unklare Vocals sind selten. “Genesis” ist aber auch eins der Alben, die über weite Teile “Progressive” gerade in Sachen Arrangements in gigantischen Lettern auf der Fahne stehen haben. Gut, Ausnahmen gibt es da schon, beispielsweise das unmetallische klavierbasierte “Genesis Part 3: The Human Equation” oder das relativ straighte “Scorched Earth”, das etwas Dur-lastiger ausfällt als erwartet, mit geiler Gitarrenarbeit im Solopart und unkonventionell-nachvollziehbarem Chorus. Auch “Like You, Like Me” mit seinem ruhigen Retro-Beginn und dem HAKENschen Bombastfülleharmoniegefeierlichkeite schlägt in diese Kerbe – das war es dann aber auch schon. Nicht, dass das unbedingt schlimm wäre. Genug tolle Bands zimmern sich ein heftig komplexes Ding ohne jegliche Eingängigkeit zusammen und es ist durchweg grandios anzuhören.
Doch hier ist der Kritikpunkt (der zugegebenermaßen mehr Raum in der Rezension einnimmt, als vielleicht verdient). Bei SIMULACRUM hat man leider das Gefühl, man habe beides gewollt und habe somit entweder seine schönen Melodien zerprogt oder sein komplexes Gefrickel verharmonisiert. Da tauchen dann Melodien auf, die durchaus eingängig und ausgefallener sein könnten, wenn man sie nicht auf Teufel komm raus durch den Progressive-Wolf gedreht hätte, wofür ich mir keinen anderen Grund vorstellen kann, als dass man sich seinem Genre zu verpflichtet gefühlt hätte. Nicht falsch verstehen, das ist handwerklich und kompositorisch bestimmt sehr gut und intelligent gemacht, wirkt aber für uns primitive Nicht-Musikstudenten häufig ein wenig willkürlich. Sein Zenit erreicht diese Problematik bei “Genesis Part 1: The Celestial Architect”, dessen Gesang zeitweise nicht mehr wirklich erkennbar etwas mit der zweifelsohne komplex agierenden Instrumentalfraktion zu tun hat. “Ihr spielt das eine Lied, ich sing das andere. Dann legen wir das übereinander und verkaufen es als Progressive Metal!” Wüsste man es nicht besser, könnte man diesen Kompositionsprozess ungefähr so geschehen vermuten. Noch einmal: Bestimmt gibt es unter Freunden progressiven Metals so einige, die mit “Genesis” genau deshalb etwas anfangen können, aber man hätte melodische und chaotisch-härtere Elemente wohl effektiver verbinden können, auf Kontrastwirkung hinarbeiten statt über weite Teile beide Elemente zusammenzurühren.
Fazit:
Einige Songs auf “Genesis” zünden absolut, andere kränkeln an den sehr hohen Ambitionen hinsichtlich der technischen Progressivität der Platte. Technisch eine gerechtfertigte 9/10, kompositorisch eine 8/10, in Sachen Subtilität und, so seltsam das bei einer solchen Rezension wirken mag, Mut zur stilistischen Variation, zur zeitweisen als Kunstgriff eingesetzten Deproggisierung oder Demelodisierung, leider nur eine 5/10. Vom Reinhören sollte das aber gerade Freunde von technischerem Progressive Metal nicht abhalten.
Anspieltipps:
“Arrhythmic Distortions”, “Like You, Like Me”, “Scorched Earth” und “Genisis Part 1: The Celestial Architect”
WERTUNG:
Trackliste:
01. Traumatized
02. Nothing Remains
03. Arrhythmic Distortions
04. Like You, Like Me
05. Scorched Earth
06. Genesis Part 1: The Celestial Architect
07. Genesis Part 2: Evolution Of Man
08. Genesis Part 3: The Human Equation
09. Genesis Part 4: End Of Entropy
Jannis