DELVING – All Paths Diverge

Trackliste:

01. Sentinel
02. Omnipresence
03. Chain Of Mind
04. New Meridian
05. Zodiak
06. The Ascetic
07. Vanish With Grace

 

 

 

Spielzeit: 62:07 min – Genre: Electronic Psychedelic Rock – Label: Stickman Records – VÖ: 23.08.2024 – Page: www.facebook.com/delvingmusic

 

Es ist immer beeindruckend, wenn sich eine Band aus vier, fünf Individuen zusammentut und dann ein geschlossenes Werk erschafft. Auf andere Weise beeindruckend ist es, wenn sich ein Typ alleine hinsetzt und ein komplettes Album einspielt. So geschehen auf „All Paths Diverge“, dem zweiten Studioalbum von DELVING (eigentlich komplett klein geschrieben), das ein Projekt von Multiinstrumentalist Nicholas DiSalvo ist. US-Amerikaner, wohnt in Berlin, war mit seiner Band ELDER bereits im Vorprogramm von TOOL unterwegs, kann man also gewisse Erwartungen dran haben, obwohl er Wahl-Berliner ist.
„All Paths Diverge“ ist rein instrumental gehalten und ziemlich elektronisch. Ja, das Fundament bietet in der Regel ein klassisch aufgestelltes Rockband-Setup, mit organisch klingenden Drums und authentisch produzierten Gitarren und Bass. Schöner Sound, zeitgemäß wuchtig, aber nicht glattgelutscht. Man hört der Platte an, dass sie in größten Teilen handgemacht ist.
Das Herzstück des Albums sind jedoch die Synthesizer. Die sind fast immer präsent, oft hypnotisch redundant gegen den Takt des Rests der „Band“ spielend, dann als sphärische Pads, mal als Soloinstrument, mal einigermaßen zeitgemäß, häufig oldschool klingend. Ihnen gibt DiSalvo den meisten Raum, lässt sie wie bei „The Ascetic“ auch mal vier Minuten aufbauen, bis die Rockband überhaupt einsetzen darf.
Um Eingängigkeit geht es dabei nicht, beziehungsweise nur selten, beim schönen Klaviermotiv des 14 Minuten langen „Zodiak“ zum Beispiel, der sich dafür am Ende aber auch minutenlange atmosphärische Klangteppiche gönnt. Mit Versatzstücken aus Psychedelic Rock, Artrock, elektronischer Musik der frühen Kölner Schule und der 70er, Jazz, Fusion und anderen Genres erschafft DELVING ein Album, bei dem man wohl weniger seine drei absoluten Lieblingssongs findet, sondern eher eines, das man seit dem 01. April dieses Jahres legal auf anderer Bewusstseinsebene von vorne nach hinten hört und sich dabei durch hypnotisierende Klanglandschaften tragen lässt.
„All Paths Diverge“ ist dafür weder zu langsam noch zu schnell, nimmt sich für einzelne Parts minutenlang Zeit, ohne jeden Part übertrieben auszureizen, und führt – mal subtil, mal nicht – jederzeit so viele neue Ideen oder Parts ein, dass der Hörprozess nie langweilig wird.
Okay, nun ist das Album auch nicht in großen Teilen die aufregendste Platte aller Zeiten, gerade hinsichtlich der Anfänge der Songs spart man doch an Überraschungen (Nimm eine sich wiederholende Synth-Line und pack mit der Zeit andere Sachen dazu), aber als irgendwie beruhigendes, vereinnahmendes Werk, das dennoch immer wieder mal angenehm scheppern darf, funktioniert „All Paths Diverge“ bestens.

Fazit:
Wer zum Meditieren zu hart ist, auf „intelligente“ Musik zu stehen glaubt, ein Herz für Synthesizer hat und optional eine gewisse Vorliebe für Brokkoli hat, der nehme „All Paths Diverge“, schalte die Anlage und die Stimmungslampe an und lasse sich treiben. Die Scheibe ist eine Erfahrung, und zwar eine gute.

Anspieltipps:
Der Reihe nach hören! Wer es unbedingt anders braucht, „Zodiak“ und „The Ascetic“

Jannis

I AM ALIZ – Dead: Seals Of Separation

Band: I Am ALIZ
Album: Dead: Seals Of Separation
Spielzeit: 32:59 min
Stilrichtung: Industrial Metal
Plattenfirma: Ishtar Rising
Veröffentlichung: 13.06.2021
Homepage: www.facebook.com/alizmusic

Mal wieder eine kleine Überraschung, die da in das Rock-Garage-Postfach reingeflattert ist: I AM ALIZ – nie gehört, kurz ein, zwei Songs angetestet und für rezensierenswert befunden, da die Sache in so mancher Hinsicht doch schon was besonderes ist. Das deutsche Soloprojekt bewegt sich im Industrial-Metal-Bereich, ziemlich elektronisch, ohne dabei metallische Klänge außen vor zu lassen, mit acht Tracks und guten 30 Minuten Spieldauer.
Produktionstechnisch kann man ein wenig meckern: Zum Teil, gerade bei den Drums und den Gitarren, klingt “D:SOS” ein bisschen mittenlastig und könnte ein wenig mehr Definiertheit vertragen, das kompensiert man aber durch massiiiiven Druck hinter der Gitarren- und Drum-Produktion und zwar mit vollem Erfolg. Beginnt Track 1 klangtechnisch recht kraftlos (kalkuliert, wohlgemerkt), so knallen die Gitarren, wenn sie denn kommen, mit brutaler Wucht rein, ohne die etwas leiseren anderen Elemente zu verdrängen. Mit diesen Lautstärkeunterschieden arbeitet I AM ALIZ gerne, was als individuelles Soundmerkmal sehr gelungen und dem Hörerlebnis dienlich ist.
Ebenfalls hervorzuheben: die Vocals. Die Stimme von Aliz ist für Electro/Gothic/Industrial sehr geeignet; individuell, ausdrucksstark, wandelbar (Einfach mal die Vocals von Track 1 mit denen von Track 6 vergleichen) und jederzeit unter Kontrolle.
Und musikalisch? Musikalisch ist “D: SOS” ein in elektronischer Hinsicht recht verspieltes Werk geworden, das sich beispielsweise viel elektronische Drumsounds leistet, eine sehr eigene Atmosphäre aufbaut, mit mehrstimmigen oder klanglich verfremdeten Vocals arbeitet und den einzelnen elektronischen Sounds Liebe widmet, sei es die grummelnde Bassline bei “Hypocrisy”, die fetten Synthesizer in “Alienation” oder auch mal eine klassische E-Orgel bei “Seal”. Ja, das Sounddesign macht viel aus bei der Platte, wobei die Songs in kompositorischer Hinsicht allerdings nicht abstinken. Lediglich beim finalen “The I In You” ist die Luft ein bisschen raus und man ist eher etwas auf stabilem Lückenfüller-Niveau unterwegs, doch ansonsten lässt sich über das Songwriting soweit nichts Negatives sagen.
Blickt man auf “Seal” (mit leider etwas störendem Echoeffekt auf der Stimme) und “Sparkling Eyes”, muss man hier stattdessen noch einmal umso ausdrücklicher loben. Jap, es sind die beiden – ziemlich rocklastigen – „Balladen“ bzw. nachdenklicher klingenden Songs der Platte (wobei “Seal” noch ordentlich Dampf bekommt), aber bei diesen zeigen sich bisher auf dem Album ungehörte Songwritingkompetenzen – das sind, kurz gesagt, einfach arschschön geschriebene Tracks.

Fazit:
Ein bisschen Punktabzug für einen doch schwächeren Song, ein paar Soundangelegenheiten und eine sehr kurze Spieldauer. Abgesehen davon großer Respekt für dieses Album, das Industrial-Sounds und Metal hervorragend und innovativ zu verbinden vermag, stark gesungen, gut durchdacht und schön bis hart schön komponiert! Im Underground findet man doch immer die schönsten Sachen.

Anspieltipps:
“Alienation”, “Bleed My Heart”, “Seal” und “Sparkling Eyes”

WERTUNG:

 

 

Trackliste:

01. Alienation
02. Bleed My Heart
03. Dead
04. Devil On The Run
05. Hypocrisy
06. Seal
07. Sparkling Eyes
08. The I In You

https://www.youtube.com/watch?v=rUUW6NoIJ84&ab_channel=IAmAliz

Jannis

SHAPE OF WATER – Great Illusions

Band: Shape Of Water
Album: Great Illusions
Spielzeit: 46:56 min
Stilrichtung: Electronic Rock
Plattenfirma: Eclipse Records
Veröffentlichung: 12.06.2020
Homepage: www.facebook.com/shapeofwatermusic

Es gibt zwei Arten von synthlastigen Rock/Metalbands: die, die sich in leicht verdaulichem, dick angereichertem BummZapp-Metal auf der sicheren Seite wähnen und ihren Erfolg größtenteils der Erwartungserfüllung durch maximal geringe Weiterentwicklung verdanken, und die, die mit elektronischen Mitteln einen eigenen Stil erschaffen und wirklich noch mit dem Wunsch, etwas Neues zu erschaffen, ans Werk gehen. EVERFROST und JD MILLER wären Beispiele für letztere Kategorie und seit neustem auch SHAPE OF WATER. “Alternative Art Rock” sollten man 2020 natürlich generell mit Vorsicht begegnen, doch ist ein Deal bei Eclipse Records auch immer ein Gütesiegel und genau bei dem Label hat sich das Duo (ursprünglich aus Italien, nun verortet in Manchester) neben Größen wie HAKEN eingenistet.
Auf dem Programm steht gut produzierter und makellos gespielter und gesungener melancholischer synth-angereicherter Rock mit teils progressiven, teils metallischen, teils Synthpop- und teils modernen elektronischen Elementen, den sich entgehen zu lassen eine einigermaßene Schande darstellen würde. Allein schon wegen “Mars-X”, das ruhig mit Klavier und Gesang beginnt, dann einen pulsierenden Bass und die Basedrum draufhaut, und vor dem unerwarteten recht biestigen Metal/Alt-Rock-Part natürlich noch ein warmes Pad beisteuert. Grandioser Opener vor grandiosem “Scar”, das beschwingt-treibender ausfällt und mit dem Arpeggiator im Chorus den Vogel locker abschließt. “Perfect Love” ist weniger balladig als der Titel vermuten lässt, mit wunderschön getragenen Melodien vor recht poppigem Background, und “Still Karma” tut der Qualität der vorangegangenen Songs ebenfalls keinen Abbruch. “The World Is Calling Me” kommt unerwartet psychedelisch/stonerig und “Not All The Things” ist in der Strophe purer Synthpop mit im Vergleich ein wenig schwächelndem Refrain. Und “A Silvia” ist locker mal neun Minuten lang, in seiner Gesamtheit ein wenig zurückhaltender. Nimmt sich Zeit und weiß sie bestens zu nutzen.
Was “Great Illusions” zu einem kleinen Gesamtkunstwerk macht, ist die Homogenität, die trotz stilistischer Experimente jederzeit klar vorhanden ist; die melancholisch-traurig-fröhliche Stimmung, die sich durch das komplette Album zieht; die Qualität der Kompositionen. SHAPE OF WATER setzen Synthesizer nicht ein, um simple Tracks zu pimpen, das sind intelligente hammerscchöne Songs, denen man keinerlei Überheblichkeit anhört. Ohne Frage, dieses Album vermittelt Emotionen, wie man es von einem Debut kaum besser erwarten könnte, in einer Professionalität, die andere Bands in 20 Jahren nicht erreichen. Die wenigen schwächeren Parts fallen kaum ins Gewicht, man sollte aber bedenken, dass man keinen aussagekräftigen Einblick in die Platte bekommt, wenn man sich nur mal eben die beiden ersten Singles anhört, von denen insbesondere “Not All The Things” doch zu dem 30 schwächsten Prozent der Songs gehört.

Fazit:
SHAPE OF WATER machen auch so ziemlich das, worauf sie Bock haben, und das ist das beste, was eine Band machen kann. Und wenn sie dazu noch Bock auf diese Art von Musik haben, ist das Ding für jeden, der auf smartes Songwriting, geschmackvolle Synths und Atmosphäre hoch zehn steht, ein Pflichtkauf. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Offenheit, diese Unvoreingenommenheit auf den nachfolgenden Alben erhalten bleibt.

Anspieltipps:
In einem Durchgang zu Gemüte führen, ansonsten einfach mal in die ersten drei Tracks reinhören.

WERTUNG:

 

 

Trackliste:

01. Mars-X
02. Scar
03. Perfect Love
04. Still Karma
05. In Your Arms
06. A Silvia
07. Not All The Things
08. Five Days To Shine
09. The World Is Calling Me
10. Great Illusion

Jannis