STARQUAKE – At The Circus

Trackliste:

01. Welcome – Usher In (Noverture)
02. Introduction
03. Life’s A Circus
04. Clowns Don’t Cry
05. Nu Knots
06. Strings Attached
07. Life Without You
08. No Strings Attached
09. Platform (Flink Poit)
10. Train To Nowhere
11. War Is…
12. Never Really Over
13. Afterlife
14. All My Friends Are Dead
15. Prayer
16. Slow Down
17. Farewell – Usher Out (Underture)

Spielzeit: 57:19 min – Genre: Neo 70s Rock – Label: Eigenproduktion – VÖ: 27.01.2023 – Page: www.facebook.com/starquakerock

 

Der Anfang einer Rezension ist natürlich immer besonders wichtig und ich freu mich immer, wenn er so richtig sitzt. Dementsprechend hoch meine Motivation, die Kritik zu STARQUAKEs „At The Circus“ mit irgendwas nach dem Motto „Perfekter Albumtitel für diese Zeit“ zu beginnen. Dann habe ich das Albumcover erstmals gesehen und, nun ja, jemand ist mir zuvorgekommen. Nach längerem Lachen über die absolute „Scheiß drauf“-Entscheidung, aus seinem Plattencover (und dazu noch bei so einem Album) ein boomeriges Meme zu machen, möchte ich STARQUAKE für die Entscheidung schonmal uneingeschränkten Respekt aussprechen.
Denn hinter diesem Cover verbirgt sich nicht etwa irgendein offensiv politische Missstände anprangerndes simpel-angepisstes Rockalbum, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern ein astreines Progrock-Konzeptalbum der alten Schule mit modernen Bestandteilen, das viel in den Siebzigern und Neunzigern stöbert und sich an den besten Progeigenschaften dieser Jahrzehnte bedient. Plus BEATLES, die erklärtermaßen eine der absoluten Lieblingsbands von Mikey sind, der einen dichten grauen Bart und wallende graue Haare hat und damit genau dem Bild entspricht, das man von Leuten hat, die so ein Album machen – dazu sogar noch quasi als Soloprojekt.
Jap, man hört „At The Circus“ Mikeys liebe zu Prog, Classic, Hard Rock und Heavy Metal an. Und gerade der ältere Prog, mit „klassischen“ Instrumenten wie Flöten, Streichern oder Klavier angereichert, um Hammondorgel, Mundharmonika, Rasseln, Handtrommeln und oldschoolige Keyboards ergänzt, mit über das Album wiederkehrenden Motiven, die am Ende allesamt nochmal in der wunderbaren „Underture“ zusammengeführt werden, hat es ihm offenbar angetan. Klar ersichtlich auch an der genretypischen Arbeit mit speziellen Dur-Wendungen, unkonventionelleren Taktarten, Effekten und ausdrucksstarken Gesangsstilen, die Mikey allesamt draufhat, und an den kurzen Intermezzi (Ein Track ist gerade einmal elf Sekunden lang).
Subjektiv ist das Hörvergnügen dort am Geringsten, wo STARQUAKE härter und straighter sein will. Das sind dann gute Songs, aber im Vergleich zum Kreativität nur so raussprühenden Rest eher lückenfüllerig. Aber wenn man das genau so sieht, skippt man die Tracks eben nach dem ersten Hören zukünftig, erfreut sich an der wunderschönen Ballade „Clowns Don’t Cry“, feiert bei „Introduction“, packt bei „Life Without You“ die Feuerzeuge aus, rätselt beim geil atmosphärischen „Platform (Flink Poit)“, von welcher Band das wohl inspiriert sein könnte, versinkt bei der „Underture“ in Nostalgie über die letzte knappe Stunde… Ihr wisst was ich meine. Ach ja, und die Produktion ist auch ziemlich geil, lässt lediglich bei mehreren Gesangsstimmen manchmal ein wenig den Überblick verlieren. Einiges an Experimenten leistet sie sich (mit Stereoeffekten etc.), nicht gaaaanz jedes will so recht funktionieren, ein Großteil aber schon.

Fazit:
Wenn STARQUAKE voll in 70s bis 90s Classic Prog Rock aufgehen, sind sie wirklich verdammt stark, abseits dessen (was aber recht selten ist) tendenziell etwas schwächer. Doch das Licht von „At The Circus“ ist so viel stärker und mehr als der Schatten, dass 8,5 bis 9 Punkte dennoch gerechtfertigt sind. All die Liebe, die in dem Ding steckt, all die Arbeit und die musikalische jahrzehntelange Inspiration, die hineingeflossen ist, haben für ein Resultat gesorgt, das der Zielgruppe das ein oder andere Tränchen ins Auge treiben wird. Nun, 8,5 oder 9? Letzter Blick auf’s Plattencover, auf diese herrliche Dualität von „Warum hat ihm das niemand ausgeredet?“ und „Gott sei Dank hat ihm das niemand ausgeredet!“ – okay, neun Punkte!

Anspieltipps:
Das ist ein Konzeptalbum mit songübergreifender Motivarbeit, Leute. Album starten und so genießen, wie der Herr es für gut befand!

Jannis

NEPTUNIZE – Faltering Glamour (EP)

Trackliste:

01. All Is Vanity
02. Digital Jester
03. Gone Daft
04. Roamer In The Night
05. Fly Now Black Bird

 

 

 

 

Spielzeit: 22:42 min – Genre: Progressive Psychedelic Rock – Label: Eigenveröffentlichung – VÖ: 17.11.2022 – Page: www.instagram.com/neptunize

 

Draußen ist es kalt, draußen ist es dunkel, die Weihnachtsferien neigen sich dem Ende entgegen und angesichts all dessen ist jetzt wohl die Zeit, um noch ein zwei Tage im winterschlafartigen Ruhemodus zu verbringen. Diesen Modus kann man perfektionieren: mit einem Glühwein bei gedimmter Beleuchtung auf dem Sofa oder, je nach Blick, spät abends am Fenster – und mit der neuen EP von NEPTUNIZE in der Anlage.
Das Soloprojekt von Mert Güner aus Istanbul wurde 2015 gegründet und hat nun die EP „Faltering Glamour“ in Eigenregie rausgebracht. Soundtechnisch kann sich das Ding absolut sehen lassen. Musikalisch ist man zwischen Neo-Prog Rock und Psychedelic Pop unterwegs, was nach einer spannenden Mischung klingt und ebenjenes ist.
Gemäß der zehn Gebote der Album/EP-Veröffentlichungen ist der Opener generell von härterer Gangart. So auch aus „Faltering Glamour“, was aber nicht viel heißen will – „All Is Vanity“ ist lediglich der am wenigsten ruhige Track, der sich ein bisschen musikalisches Gezappel und ein wenig mehr Action gönnt, als der Rest des Albums. Das macht er gut und deutet schonmal an, wohin die Reise geht: viele Synthesizer, viel Sounddesign, teils Vocaleffekte, meist analoges Schlagzeug, Gitarren nicht zwangsläufig, sondern eben nur dort, wo für den Sound von NEPTUNIZE benötigt.
Ab Track 2 wird es noch etwas ruhiger. Über Midtempo kommt hier praktisch nix mehr, oftmals sind die Arrangements sehr „klein“ und zurückhaltend und meist reicht Mert ein simpler, schön umgesetzter Vierertakt, um seine Musik zu transportieren. Dann wiederum gibt es die großen, vollen Klangmomente, die ruhige, schöne Gesangsmelodien tragen, und Situationen, in denen sich das Klangbild eines Songs schleichend durch den hintergründigen Wechsel von Synths wandelt und weiterentwickelt. Deren Sounds sind wunderbar oldschool und geschmackvoll ausgewählt – kein cheesy Sound-Moment auf „Faltering Glamour“, der irgendwie nicht im Sinne des Albums wäre. Und all das – das sehr starke Sounddesign, die ruhig-hypnotischen Melodien, die längeren instrumentalen Parts, die Synthsound-Auswahl, die gute Vocal-Produktion – macht „Faltering Glamour“ letztendlich ab der ersten Minute, aber besonders ab Track 2, zu einem extrem atmosphärischen kleinen, nicht verkopften Gesamtkunstwerk, das eine melancholisch-positive Stimmung sondergleichen hervorzurufen vermag und unbedingt in gemütlicher Umgebung ohne Ablenkung genossen werden sollte.

Fazit:
„Faltering Glamour“ ist wie eine dicke Decke an kalten Tagen. Die ersten paar Minuten fühlt sie sich noch ein bisschen fremd an, etwas kühl. Doch dann ist sie auf einmal einfach nur maximal komfortabel und man würde eigentlich gerne ewig drinbleiben. Keins Anspieltipps, weil In-Gänze-hör-Platte, aber wenn man nicht genau weiß, ob man die Zeit in die Platte investieren will, starte man am besten bei „Digital Jester“.

Jannis

R3VO – Fireflies (EP)

Trackliste:

01. Artificial Pleasure
02. Fireflies
03. Dorian Gray
04. Darling
05. Aluminium

 

 

 

 

Spielzeit: 23:30 min – Genre: Progressive Rock – Label: Eigenveröffentlichung – VÖ: 16.11.2022 – Page: www.facebook.com/R3VO.official

(8,25 von 10, aufgerundet wegen Debüt)

Man kennt ja die zahlreichen Einschätzungen von Einzelpersonen über Berlin und seine Einwohner. Sollte man Teil der Fraktion „Kannste komplett vergessen“ sein, ist es nun aber an der Zeit für eine kleine Einschränkung: „alle außer R3VO“. Die haben in den letzten zwei Jahren fünf Songs geschrieben, dann aufgenommen, und jetzt auf ihrer Debüt-EP rausgebracht. Wenn man nicht das Kind von Bruce Dickinson ist, bleiben einem dabei eigentlich nur zwei Optionen. Entweder man erwischt eine grausame Produktion oder eine Preis-Leistung-Produktion, die vielleicht ein bisschen basic aber sehr zweckmäßig ausfällt. Letztere haben R3VO bekommen, mit tatsächlich echt gutem Preis-Leistungsverhältnis, klarem Sound (für das Genre unabdinglich) und gerade in den Vocals mit einigem an investierter Arbeit. Stichwort Genre: Progressive Rock, mal moderner technischer im Stil von beispielsweise HAKEN („Artificial Pleasure“), mal oldschooliger (das ruhig-intensive „Darling“). Oft angejazzt, frickelig, mit einigem an Nicht-4/4tel-Takt und gerne mal – insbesondere im zweiminütigen „Dorian Gray“ – auf einem Level, wo man auch mit ein bisschen Ahnung gar nicht erst anfangen sollte, das Ganze irgendwie auf musiktheoretischer Basis verstehen zu wollen. Mächtig Groove ist dabei, aber auch ausufernde ruhige Parts, so bei „Aluminium“.
Stichwort Skill: Jap, da haben sich echt ein paar Leute gefunden, die ihr Handwerk verstehen und dabei nicht nur irgendwas Kompliziertes in komischen Taktarten spielen, sondern dabei auch dem Laien die Möglichkeit geben, die Sache gut zu finden. Sängerin Leo Lotux setzt der Instrumentalperformance dann noch eine monumentale Sahnehaube auf. Alleine wegen ihr lohnt sich schon, durch die EP zumindest mal durchzuskippen.
Die EP heißt übrigens „Fireflies“, hab ich, glaub ich, vergessen zu erwähnen. (Anm. d. Red.: Hatte ich echt).
Zurück zum Thema: Die Bandbreite und Ausdrucksstärke der Vocals ist spektakulär und absolut on point eingesetzt. Kann eine solche Platte echt nochmal aufwerten.
Ein bisschen Elektronik gibt’s auch, den ein oder anderen digitalen Basssound und mit dem letzten Drittel vom Titeltrack einen fast komplett elektronischen Part, der sehr gelungen ist und zusammen mit dem generellen Wiedererkennungswert des Songs und seinen vielen verspielten Elementen diesem Song freundlich auf das Favoritentreppchen hilft.
Kritik: Manchmal ist der Technik-Faktor echt hoch, während der Immersions-Faktor ein bisschen zu sehr zurückbleibt. Oder anders: Manchmal respektiere ich sehr, fühle aber wenig. Dabei haben R3VO mit „Darling“ bewiesen, dass sie auch ganz anders können. Aber das ist ein bisschen, als würde man bei einem Lamborghini bemängeln, dass er von außen nicht plüschig genug ist (aber ist er halt auch nicht, deswegen bleibt die Kritik bestehen).

Fazit:
Geile erste Meldung von musikalisch hart versierten Leuten. Wenn „Fireflies“ ein Ausblick in die Zukunft von R3VO ist, habe ich Bock auf ihre zukünftigen Releases. Und Ihr könnt das auch haben, wenn Ihr nicht auf 1 und 3 klatscht!

Anspieltipps:
„Fireflies“ und „Darling“

Jannis

DEVIN TOWNSEND – Lightwork

Trackliste:

01. Moonpeople
02. Lightworker
03. Equinox
04. Call Of The Void
05. Heartbreaker
06. Dimensions
07. Celestial Signals
08. Heavy Burden
09. Vacation
10. Children Of God

 

Spielzeit: 55:59 min – Genre: Progressive Rock/Metal – Label: Inside Out Music – VÖ: 28.10.2022 – Page: www.facebook.com/dvntownsend

 

An die eine Person im Rock-Garage-Leser-Keis, die DEVIN TOWNSEND noch nicht kennt: Du hast jetzt fünf Minuten, um diese Rezension zu lesen, und dann gehst du los und verwendest LIGHTWORK als Einstiegsdroge. Denn nichts anderes ist die neuste Platte des – sagen wir es wie es ist – Genies aus Kanada. Man kennt den Frank Zappa des Progressive Metal einerseits für seinen absoluten Bombast, die mächtigsten Klangwände, die mit den damit einhergehenden Melodien für kompletten Gänsehaut-Overload sorgen, ebenso wie für seine Experimentierfreudigkeit, seine absolut seltsamen Ideen, die allesamt funktionieren, seine unkonventionellen Arrangements, Instrumentierungsentscheidungen, Songstrukturen. Ein gutes DEVIN-Album ist eine bunte magische Wundertüte voller Emotionen, voller Dinge, von denen man zuvor nicht wusste, dass man sie braucht, voller teils überwältigender Positivität, die sich einen feuchten Dreck um Genrekonventionen schert und hochgradig poppige Eingängigkeit düsterem Gedönse gegenüberstellt.
Ach ja, „Lightwork“. Ist genau so ein Album. Die Produktion ist perfekt, die Qualitätsansprüche, die man an DEVIN hat, werden mindestens erfüllt, die Soundauswahl (Band, unterschiedliche Gesangsstile und gelegentliche Gastvocals, elektronische Elemente, Orchester, E-Drums) ist äußerst breit gefächert. Größtenteils ist „Lightwork“ eines der Alben des Ausnahmekünstlers, die kompatibler ausfallen. Einiges an ruhigen Parts, viel Harmonie, eingängige, oft poppige, große Melodien, dicker Bombast, wenig unklarer Gesang und kaum Geknüppel. Positivität überwiegt, lediglich zwei bis drei der Songs fallen düsterer aus. Auch die Experimentsongs (die geil sind, dabei aber weit weniger „konventionell“ als der Rest seiner Songs) sind eher selten. Und man kann es nicht anders sagen, „Lightwork“ ist in jeder Hinsicht perfekt. Die Melodien zünden praktisch zu 100%, der Sound ist gewohnt over the top, und vielleicht etwas mehr als noch auf vorangegangenen Alben spielt DEVIN viel mit den Möglichkeiten der Produktion, um Effekte beim Hörer zu erzielen. Manipulation im besten Sinne. Das Resultat ist eine einstündige, intensive meditative Reise, die den grandiosen Vorgänger „Empath“ subjektiv noch ein wenig übertrifft.

Fazit:
„Lightwork“ ist ein Album, das man einem rock/metallisch komplett ahnungslosen Menschen auf der Straße in die Hand drücken könnte, und es hätte das Potenzial, den Musikgeschmack dieses Menschen nachhaltig zu verändern. DEVIN TOWNSEND schöpft wie wenige andere Musiker unserer Zeit das Potenzial von Musik im Gesamten aus, überwindet Genregrenzen und Konventionen und schafft damit Musik, die letztendlich Balsam für die Seele ist. Und das haben wir doch momentan alle hin und wieder mal nötig.

Anspieltipps:
„Moonpeople“, „Lightworker“, „Dimensions“ und „Heavy Burden“

Jannis

GALAXY – Runaway Men

Trackliste:

01. Answers
02. Look Into My Eyes
03. Never The Same
04. In Her Head
05. Lady On Fire
06. Talk To Me
07. Gallery Play
08. Runaway Man

 

 

Spielzeit: 48:17 min – Genre: Progressive Rock – Label: Shaded Moon Entertainment/Bertus – VÖ: 27.05.2022 – Page: www.facebook.com/RunawayMen

 

Ach was war das damals für eine Entdeckung, als der Chef bei einem kleinen Label, bei dem ich ein Praktikum machte, auf der Suche nach dem nächsten Album, das man während der Arbeit hören könnte, zu IQs „Dark Matter“ griff und mich damit behutsam in die Welt des Neo Prog Rock einführte. Gut gemacht wohnt dieser Musik nicht selten etwas extrem Ausdrucksstarkes, positiv-Friedliches inne, und das Potenzial der Schönheit von Musik wird in einer Weise umgesetzt, die für mich wohl ähnlich zündet, wie ein Eichendorff-Gedicht für Leute in der Romantik. Das ist jedoch alles andere als einfach, denn viele Faktoren müssen dafür stimmen: die Produktion (nicht zu hart aber voll und klar), die Vocals (wandelbar, ebenfalls klar, mit Ausdruck), der Skill der Instrumentalfraktion (besser als für das Album akut benötigt) und vor allem das richtige Gefühl für die Musik, die entstehen soll; Ahnung, wie man das Gefühl musikalisch umsetzt, ein Händchen für vereinnahmende Arrangements und eine tiefgehende Beziehung zwischen Komposition und Lyrics.
Und damit hätte man GALAXYs „Runaway Men“ soweit beschrieben. Wie macht man sowas aber heutzutage als Debutalbum, in einer Zeit, in der Neo Prog hauptsächlich von den alten Größen des Genres am Leben erhalten wird und die Nachwuchsszene kaum existent ist? Nun, indem man das Album einfach bereits 1997 aufnimmt, nie fertig produziert, dann irgendwie mit anderen Sachen beschäftigt ist (zum Beispiel als Frontmann von KAYAK), und irgendwann hört mal wer in die Rohfassungen rein, findet, das Ding müsse veröffentlicht werden, und dann beginnt die große Suche, wo man die Songs überhaupt hat.
Die Suche hat sich gelohnt, denn hier ist es nun, „Runaway Men“ von GALAXY, das seit 25 Jahren im Keller wartende Album, das in Sachen Komposition und Spirit nicht authentischer nach herrlich positivem, Klavier-, Synth- und Orgel-angereichertem 90er-Prog klingen könnte. Die richtige Menge an unkonventionelleren Taktarten, erwartungsgemäß starke Vocals, kaum Kritikpunkte an der Produktion und vielseitig. Mal gibt es mit „Never the Same“ verstärkte AOR-Vibes, dann mit „In Her Head“ balladige Gänsehaut mit geringem Kitschfaktor, mit „Lady On Fire“ Seriosität mit nahezu QUEENSRYCHE-Feeling und mit „Gallery Play“ ein funkig-freshes Instrumental. Plus andere Songs mit eigener Identität, die als Albumeinheit bestens miteinander funktionieren.

Fazit:
Wir haben den Stil der Truppe geklärt und die Qualität des Albums. Wer von sich denkt, mit dem Stil Spaß zu haben, der betrachte diese Rezension als klare Hör-Empfehlung für ein absolut authentisches Wohlfühl-Hörerlebnis, das ein Vierteljahrhundert in perfekter Frische konserviert worden ist. Gut für die Seele, und das kann ja im Jahr 2022 nun wirklich nicht schaden!

Anspieltipps:
Einfach bei Track 1 beginnen und, falls Ermüdung eintreten sollte, ab Track 5 weiterhören!

Jannis

THE FLOWER KINGS – By Royal Decree

Trackliste:

01. The Great Pretender
02. World Gone Crazy
03. Blinded
04. A Million Stars
05. The Soldier
06. The Darkness In U
07. We Can Make It Work
08. Peacock On Parade
09. Revolution
10. Time The Great Healer
11. Letter
12. Evolution
13. Silent Ways
14. Moth
15. The Big Funk
16. Open Your Heart
17. Shrine
18. Funeral Pyres

Spielzeit: 94:06 min – Genre: Progressive Rock – Label: Inside Out Music – VÖ: 04.03.2022 – Page: www.facebook.com/TheFlowerKings

 

Ein Jahr im Leben eines Hundes sind sieben Menschenjahre. Ein Jahr im Leben einer Prog-Rock-Band sind zwei Menschenjahre. Anders lässt es sich nicht erklären, dass THE FLOWER KINGS, die sich angesichts ihres Sounds und Stils offensichtlich 1972 gegründet haben, zur Zeit ihr 25. Bandjubiläum feiern können.
Pünktlich dazu ist nun ihr 15. Album „By Royal Decree“ auf den Markt gekommen, das 18 (!) neue Songs der Schweden auf 90 (!) Minuten Spieldauer in sich birgt. Viele unveröffentlichte Ideen aus der Prä-Debutalbum-Phase finden sich laut der Band darauf – und generell viele Ideen. Also wirklich viele.
Jesus, Bass, Drums, Vocals und (unterschiedliche, akustische und elektrische) Gitarren werden ergänzt um verschiedene Orchestralinstrumente, Klavier, Orgel, Percussion, Saxophon, Accordeon, Glockenspiel, unterschiedliche Synthesizer, Chöre und einiges, was ich vermutlich vergessen habe, All das wird in einer 90-Minuten-Terrine fröhlich zusammengekippt und nach dem Prototyp-70es-Jazz-Feelgood-Prog-Rock-Rezeptbuch zubereitet.
Eigentlich gehe ich ja immer gerne auf schöne Details und Parts einzelner Songs ein, aber bei „By Royal Decree“ ist das praktisch zwecklos. Man werfe dazu einfach mal ein Ohr in den Opener und merke, dass er quasi alles beinhaltet, inklusive den Kompositionsweisen, die man von einem solchen Album erwartet. Also etwas allgemeiner: Die Platte ist zu 100 Prozent positiver, schöner Prog Rock der alten Schule, ergänzt nur ganz selten um ein paar moderenere, ebenfalls sehr gelungene Sounddesign-Elemente. Dabei ist sie eine von denen, die weniger Zeit investieren, um große Ohrwürmer zu etablieren, sondern den Zuhörer eher mit auf eine trippige Reise durch blühende, bunte Klanglandschaften nehmen, in denen hinter jedem Baum etwas neues Wundervolles wartet. Und das ist super gelungen, mit einem wahnsinnigen Kompositions- und Einspielaufwand.
Kritik? Eigentlich nein. Einzig könnte man anmerken, dass man aus diesem 90-Minuten-Werk auch zwei 60-Minuten-Werke hätte machen können (für die man dann sogar zweimal hätte Geld verlangen können). Denn erstens sind 90 Minuten bei einem so dichten und vielseitigen Album schon ein leichter Overkill, bei dem man je nach Stimmung nach der ersten Hälfte auch mal eine Pause vertragen könnte, und zweitens gibt es immer wieder (beispielsweise bei „Blinded“ und „The Soldier“) diese Andeutungen von wirklich großen Prog-Melodien, die man zum Ende eines Songs komplett entfalten könnte und in die man mehr Zeit investieren könnte. Das Potenzial wird jedoch seltener genutzt, da „By Royal Decree“ dann doch zu aufgeregt schnell weiter seine bunte Welt erkunden möchte. Aber gut, es ist schwer, ein Album wegen einer Melodie zu kritisieren, die nicht auf ihm enthalten ist.

Fazit:
„By Royal Decree“ ist ein Album, das man anschaltet und sich dann ohne Erwartungen hinsichtlich traditioneller Songstrukturen treiben lässt. Und auch, wenn man einigen Ideen mehr Zeit hätte geben können: Oldschool-Prog-Fans wollen dieses Album und werden in ihm ein grandioses Detailreichtum, ein Gespür für authentisches Feeling, zahlreiche schöne Melodien und Motive, Respekt vor jedem Instrument und viel viel Hingabe finden.

Anspieltipps:
„The Great Pretender“, “Revolution“, „Moth“, „Silent Ways“ und „Funeral Pyres“

Jannis

 

LALU – Paint The Sky

Trackliste:

01. Reset To Preset
02. Won’t Rest Until The Heat Of The Earth Burns The Soles Of Our Feet Down To The Bone
03. Emotionalised
04. Paint The Sky feat. Steve Walsh
05. Witness To The World
06. Lost In Conversation
07. Standing At The Gates Of Hell
08. The Chosen Ones
09. Sweet Asylum
10. We Are Strong
11. All Of The Lights
12. Paint The Sky feat. Simon Phillips

Spielzeit: 63:25 min – Genre: Progressive Rock – Label: Frontiers Music Srl – VÖ: 21.01.2022 – Page: www.facebook.com/laluprog/

 

Frontiers Music Srl ist mehr oder weniger die erste AOR-Anlaufstelle, mit einem massiven Output an eingängigen und damit einhergehend oft vergleichsweise unkomplexen Alben. Doch immer wieder mal finden sich bei dem Label auch progressivere Veröffentlichungen, die jene melodische Ausgeprägtheit mit komplexerem Songwriting kombinieren. Eine davon ist LALUs „Paint The Sky“, wie sich bereits anhand des Lineups der (Gast)Musiker erkennen lässt. Jens Johansson von STRATOVARIUS, Jordan Rudess von DREAM THEATER, Steve Walsh von KANSAS, Damian Wilson (u.a. ARENA, PRAYING MANTIS und AYREON) und andere (neben Vivien Lalu selbst, dem Sohn zweier Prog-Musiker) lassen keinerlei Zweifel daran offen, was auf „Paint The Sky“ Sache ist.
Das dritte Album des Franzosen, der sich in der nach ihm benannten Band der Rolle des Keyboarders angenommen hat, ist eine erwartungsgemäß synthesizerreiche Mischung aus älterem und aktuellerem Prog Rock mit kleinen und seltenen Progressive-Metal-Anleihen und einem unüberhörbaren Fusion-Anteil. Hinsichtlich der Gesangsmelodien immer hochmelodisch und mit viel Prog-Rock-Positivität, mit ausufernden Soli und komplexen Arrangements. Dabei hat „Paint The Sky“ kein Problem damit, ruhige Töne anzuschlagen – im Gegenteil, zu vielen Zeitpunkten ist man musikalisch sehr friedlich unterwegs, lieber etwas zu entspannt als zu hart. Die Arrangements sind nicht selten spannend und interessant, insbesondere der subtile Aufbau von „Emotionalised“ hat es mir dahingehend angetan. Ist vermutlich der smootheste Song, in dem Blastbeats (!) vorkommen, den ich je gehört habe. Und auch wenn die Zahl der „zappeligen“ Parts auf der Platte durchaus etwas reduzierter hätte ausfallen dürfen, ist das Gesamtbild doch sehr positiv, mit einer Progressivität, die sich im klassischen Sinne in der Verwendung der gängigen Prog-Stilmittel zeigt, aber eben auch Tiefgang mit sich bringt, ohne zu denken, mit einem Nicht-4/4tel-Takt und einem Synthesizer (gut ausgewählte Sounds, übrigens), wäre die Sache gegessen. Da stört es auch kaum, dass das Album zwar harmonielastig und in Sachen Melodien sehr schön, aber wenig eingängig-ohrwurmlastig ausfällt.

Fazit:
„Paint The Sky“ ist ein Prog-Album nach allen Regeln der Kunst, wenig böse, viel schön, wenig Metal, viel (oft ruhigerer) Rock. Die kleineren Macken gehen im wirklich gelungenen und vielseitigen Komplettpaket größtenteils  unter, das sich Freunden harmonielastigen Prog Rocks der älteren und neueren Schule mit viel spielerischem Können bedenkenlos (im mindesten zum antesten) empfehlen lässt.

Anspieltipps:
„Emotionalised“, „The Chosen Ones“ und „Reset To Preset“

Jannis

LORDI – Lordiversity

Band: Lordi
Album: Lordiversity
Spielzeit: 284:32 min (wirklich)
Stilrichtung: Gute Frage.
Plattenfirma: AFM Records
Veröffentlichung: 26.11.2021
Homepage: www.facebook.com/lordiofficial

Okay, gut.

Okay.

Packen wir’s an.

Warum ist die Rezension so lang?
Weil das Album auch so lang ist. Wenn LORDI das dürfen, darf ich das auch.

Was ist der Stand der Dinge?
LORDI haben sich am ersten April mit der Ansage gemeldet, dass sie übrigens vier Alben auf einmal rausbringen. Dann alle so “Das ist doch kein guter Aprilscherz, Leute, dann enttäuscht Ihr uns ja am zweiten April”, und dann verkünden LORDI einen Tag später, dass das tatsächlich Blödsinn war, weil sie eigentlich sieben Alben auf einmal rausbringen. Was geht.

Warum sieben Alben?
Weil LORDI als letztes “Killection” rausgebracht haben, das ein Best-Of-Album mit Hits der “frühen” LORDI darstellen sollte. Allerdings war es ein normales Album, das einzelne Songs in unterschiedlichen Stilen beinhaltete, die Lordi im „Killection“-Narrativ vor ihrer eigentlichen Zeit angeblich herausgebracht haben; also einen aus ihrer Industrial-Ära, einen aus ihrer Disco-Ära etc. Schönes Konzept, besonders, wenn man dann noch bei den Aufnahmen und dem erzeugten Sound recht authentisch arbeitet und die Klangfacetten der Songs jeweiligen Klanglichkeiten von Songs aus der entsprechenden Zeit angleicht. War cheesy, halb authentisch und halb witzig. Die sieben Alben von “Lordiversity” stellen nun jene Alben der Band vor ihrer realen Discografie dar, die in „Killection“ zusammengefasst werden. Laut Mr Lordi sollten es zehn werden, das Label handelte ihn auf sieben runter.

Worin unterscheiden sich die Alben?
Grob gesagt, im Grundstil. “Sceletric Dinosaur” ist mehr oder weniger 70s Hard Rock, “Superflytrap” ist Disco, “The Masterbeast From The Moon” ist Progressive Rock, “Abusement Park” ist 80s Heavy Metal, “Humanimals” irgendwo zwischen 80s Hard Rock und AOR, “Abracadaver” ist 80s/90s Heavy/Thrash Metal und “Spooky Sextravaganza Spectacular” ist Industrial Metal. Wie die Songs auf „Killection“ unterscheiden sich auch die Alben deutlich in ihrer Produktion, in der Instrumentierung und den Kompositionen.

Was sagt man erstmal dazu?
Ganz klar: großen Respekt für diesen Aufwand! Sieben Artworks, sieben liebevolle, ganz unterschiedliche Intros, 70 Songtexte, 70 Songwritings, so viel Produktionsaufwand und viel Hingabe, um sich in die unterschiedlichen Stile derartig reinfühlen zu können. Klar, Corona sorgt dafür, dass so manche Musiker plötzlich mehr Zeit für Alben haben, aber sieben (noch einmal: SIEBEN, in Zahlen: 7) derartig konzipierte Alben auf einmal nach einem zwei Jahre zuvor veröffentlichten Vorgängeralbum sind brutal. Und ganz davon abgesehen: Die Idee ist grandios und zeugt davon, dass LORDI, wie schon länger immer wieder sichtbar, neue Ebenen von kreativer Arbeit mit in ihre Alben integrieren – nicht unbedingt hinsichtlich der einzelnen Songs, sondern eben der Albumkonzepte.

Aber wie ist denn sowas möglich in so kurzer Zeit?
Aaaaaha, und hier kommen wir nun zur Kritik. “Lordiversity”s Konzept ist Fluch und Segen gleichermaßen. Segen, weil die Idee, eine zuvor etablierte fiktive Reihe von Alben tatsächlich real werden zu lassen, halt einfach saugeil ist. Fluch, weil sie eine derartige Masse an Arbeit mit sich zieht, dass man entweder einige Jahre mehr braucht, um sie wirklich so liebevoll wie normale Alben auszuarbeiten, oder dass bei einer Arbeitsdauer von unter zwei Jahren die fehlende Liebe in den einzelnen Songs hörbar wird.
Seien wir ehrlich: Alleine ein 45-Minuten-Prog-Rock-Album benötigt, wenn es Tiefgang haben und tatsächlich in gutem Maße durchdacht sein soll, mindestens seine zwei bis drei Jahre, auf “Lordiversity” ist es eins von sieben und bekam vermutlich maximal vier Monate. Und so bewegt man sich oftmals an der Oberfläche der Stile, legt den Fokus darauf, dass das jetzt eben klingt wie Disco oder thrashigherer Heavy Metal, ohne die Facetten der einzelnen Stile so zu nutzen, so umzusetzen und mit Details anzureichern, wie man es von einem Einzelalbum einer Band des entsprechenden Genres erwarten würde. Und dann legt man beim finalen Chorus eben nicht noch eine zusätzliche Stimme drauf oder ändert die Vocalline noch ein bisschen ab, einfach, weil man noch 77 andere Tracks aufnehmen muss und „das schon so passt“.

Bedeutet?
Viele der Songs klingen nach “Kann man so lassen”-Stadium, haben stiltypische Melodieführungen, sind damit aber eben eher basic und lange nicht das, was LORDI mit mehr Zeit aus ihnen hätte machen können. Negativ fällt das am allermeisten beim Disco-Album auf, bei dem man sich offensichtlich auf die Reproduktion von absoluten Genrekonventionen verließ, da eben eine wirkliche Einarbeitung in die Möglichkeiten eines Genres zur selbstständigen Reproduktion mehr Zeit benötigt, als vorhanden war.

Was hätte man also besser machen können?
Weniger am Prinzip “Wir müssen jetzt wirklich vollständige Alben machen” festhalten. Klar ist das verlockend, ein (mindestens nahezu) einzigartiges Konzept und eine Herausforderung. Aber hätte man zum Beispiel Promo damit gemacht, dass man zwei Jahre lang alle auffindbaren Songs der verschollenen frühen Alben der Band zusammengesucht hätte, und pro Stil nur fünf Songs releast hätte, die dafür aber mit doppelt so viel Liebe gemacht, wäre niemandem ein Zacken aus der Krone gebrochen und das Ding wäre kurzweiliger, kompakter und smarter geworden. Ernsthaft, der Discotrack auf “Killection” war ein Witz und funktionierte bestens. Aber ein Witz wird nicht besser, wenn man ihn über eine halbe Stunde durchgängig immer wieder erzählt. Und das musste in LORDIs Augen nun scheinbar passieren – aus Prinzip eben. Sollen ja sieben Alben werden.

Also ist “Lordiversity” nun nicht gut?
Nee, so will man das auch nicht sagen. Wie erwähnt: Das Ding ist ein Stunt, ein Experiment, das in seinem Konzept und seiner Umsetzung insgesamt echt einmalig, interessant und stark ist – und man kann davon ausgehen, dass LORDI in Zukunft nicht darauf bauen, alle zwei Jahre immer mehr Alben gleichzeitig zu veröffentlichen, sondern beim nächsten Release wieder auf Ein-bis-zwei-CD(s)-Länge gehen, weil sie um die Probleme der Sieben-Alben-Herangehensweise wissen. Aber alleine als das, was es ist, hat das Ding Respekt verdient und ist, muss man halt auch wirklich anerkennen, viel besser als das, was andere mit dem gleichen Konzept hinbekommen hätten.

Und außerdem…
…muss man sagen, dass doch so einiges auch musikalisch wirklich gelungen ist. “Abusement Park” und “Humanimals” arbeiten mit den Stilen, in denen LORDI am ehesten zuhause sind, und das merkt man ihnen an. “Humanimals” ist wirklich fett und ginge auch einzeln beinahe als vollwertiges Album durch, “Abusement Park” fühlt sich auch sehr wohl mit dem, was es tut. “The Superbeast From The Moon” zeigt an so einigen Stellen, wozu LORDI in Sachen Songwriting eigentlich im Stande sein könnten. Das Ding mit einer zweijährigen Ausarbeitungsphase und etwas mehr LORDIscher Härte wäre Der. Shit. Denn ehrlich, wenn Du nicht übertriebene Songwriting-Skills in Dir verbirgst, haust du so ein Teil nicht in so kurzer Zeit einfach mal raus, wissen doch auch LORDI, dass das das Album auf „Lordiversity“ ist, bei der durchdachteres Songwriting am unumgänglichsten ist.
Zurück zum Thema: Und vom Rest der Subalben kann man sich immerhin jeweils 50 beliebige Prozent der Songs geben, bevor sie sich abnutzen. Insgesamt hat man sich über die nämlich auch Gedanken gemacht, nur über die einzelnen Songs eben nicht wesentlich mehr, als nötig.

Fazit:
Welches Deiner Kinder feierst Du mehr? Das, das am Strand eine wunderbar detailreiche kleine Sandburg mit vielen Türmchen baut, oder das, das Dir eine zweistöckige, begehbare und ein bisschen schräge Sandburg mit weniger Türmchen baut? Genau, beide haben ein Eis verdient. Ich habe den schweren Verdacht, dass “Lordiversity” kein Album ist, das aus 70 Hits bestehen soll, die allesamt in die Live-Setlists der nächsten 20 Jahre einfließen. Nein, Hits auf dem Niveau finden sich auf diesen Platten praktisch gar nicht. “Lordiversity” ist ein “Komm, lass mal was richtig Unerwartetes machen”-Album, das aus Corona-Langeweile entstand und wahnsinnig viel Herzblut auf wahnsinnig viele Tracks verteilen musste. Keiner aus der Band wird sich gedacht haben “Wir können in zwei Jahren sieben Alben machen, die in ihrer Qualität mit Einzelalben anderer Bands der gewählten Genres mithalten können”. Das war nicht der Punkt und das sollte auch nicht der Anspruch der Hörer an “Lordiversity” sein.
Nehmt dieses Bollwerk, staunt über den monströsen Aufwand und das saucoole Konzept dahinter, schreibt Euch beim ersten Hören für jeden Song eine Eins-bis-Zehn-Bewertung auf und packt dann alles über sechs in eine Playlist. Und wenn Ihr es ganz hören wollt, traut Euch, auch mal zu skippen, bevor es nervig wird. Dann habt Ihr das, was “Lordiversity” mit etwas mehr Scheißen auf das Konzept hätte sein können – und als Fans von LORDI oder als Freunde von kreativen musikalischen Konzepten habt Ihr eine Menge Spaß mit einem Teil der Songs, ohne Euch von einer größeren Menge an Lückenfüllern langweilen zu lassen. Ich meine, Songmaterial ist ja genug da.

WERTUNG: Ich kann das nicht bewerten. Wie soll man das bewerten? Bitte scrollt weiter.

Trackliste:

-Skeletric Dinosaur-
01. SCG Minus 7: The Arrival
02. Day Off Of The Devil
03.Spitfire
04. Maximum-O-Lovin
05. The King On The Head Stakers Mountain
06. Carnivore
07. Phantom Lady
08. The Tragedy Of Annie Mae
09. Blow My Fuse
10. Beyond The Isle Was Mary
-Humanimals-
01. SCG Minus 3: Scarctic Circle Telethon
02. Borderline
03. Victims Of The Romance
04. Heart Of A Lion
05. The Bullet Bites Back
06. Be My Maniac
07. Rucking Up The Party
08. Girls In A Suitcase
09. Supernatural
10. Like A Bee To The Honey
11. Humanimal
-Superflytrap-
01. SCG Minus 6: Delightful Pop-Ins
02. Macho Freak
03. Believe Me
04. Spooky Jive
05. City Of The Broken Hearted
06. Bella From Hell
07. Cast Out From Heaven
08. Gonna Do It (Or Do It And Cry)
09. Zombimbo
10. Cinder Ghost Choir
-Abracadaver-
01. SCG Minus 2: Horricone
02. Devilium
03. Abracadaver
04. Rejected
05. Acid Bleeding Eyes
06. Raging At Tomorrow
07. Beast Of Both Worlds
08. I’m Sorry I’m Not Sorry
09. Bent Outta Shape
10. Evil
11. Vulture Of Fire
12. Beastwood
-The Masterbeast From The Moon-
01. SCG Minus 5
02. Moonbeast
03. Celestial Serpents
04. Hurricane Of The Slain
05. Spear Of The Romans
06. Bells Of The Netherworld
07. Transmission Reply
08. Church Of Succubus
09. Soliloquy
10. Robots Alive
11. Yoh-Haee-Von
12. Transmission On Repeat
-Spooky Sextravaganza Spectacular-
01. SCG Minus 1: The Ruiz Ranch Massacre
02. Demon Supreme
03. Re-animate
04. Lizzard Of Oz
05. Killusion
06. Skull And Bones (The Danger Zone)
07. Goliath
08. Drekavac
09. Terror Extra-Terrestical
10. Shake The Baby Silent
11. If It Ain’t Broken (Must Break It)
12. Anticlimax
-Abusement Park-
01. SCG Minus 4: The Carnival Barker
02. Abusement Park
03. Grrr!
04. Ghost Train
05. Carousel
06. House Of Mirrors
07. Pinball Machine
08. Nasty, Wild & Naughty
09. Rollercoaster
10. Up To No Good
11. Merry Blah Blah Blah

 

Jannis

SONS OF SOUNDS – Soundphonia

Band: Sons Of Sounds
Album: Soundphonia
Spielzeit: 49:26 min
Stilrichtung: Progressive Rock
Plattenfirma: El Puerto Records
Veröffentlichung: 05.11.2021
Homepage: www.sonsofsounds.com

Dass Musik, die von Geschwistern zusammen gemacht wird, häufig einen ganz eigenen Zauber hat, bestätigte sich für mich vor einiger Zeit bereits durch die großartigen R.U.S.T.X – und auch durch das letzte Album der SONS OF SOUNDS. Drei Brüder aus Rheinland-Pfalz, alle wohl ähnlich bis gleich musikalisch grundsozialisiert und damit auf einem sehr eigenen gemeinsamen Level von Einflüssen und Vorlieben. Zu denen ist nun Marc Maurer gestoßen und gemeinsam hat die nun zum Quartett angewachsene Truppe jüngst “Soundphonia” veröffentlicht. Kurz zu Beginn: Nein, die Produktion ist nicht perfekt, vor allem die Rhythmusgitarren fallen etwas platt aus, das sollte jedoch keineswegs vom intensiveren Reinhören in den neuen Longplayer abhalten. Denn musikalisch ist das Ding umso – nun, spezieller?
SONS OF SOUNDS machen eigenen Angaben zufolge Progressive Heavy Rock. Wer nun an ausgeprägtere Taktwechsel und ausufernde Synth- und Gitarrensoli denkt, liegt allerdings daneben. Im Gegenteil, die meisten Songs sind kurz und nach klassischem Schema vergleichsweise simpel anmutend aufgebaut. Doch über die ersten paar Tracks ist man gewillt, seinen Boxen so manches Mal laut “So macht man das nicht, was ist das?” entgegenzurufen, bevor man früher oder später erkennt, dass man einfach absolut unterhalten ist von dem, was die Kollegen da machen, und sich eingestehen muss, dass man das vielleicht doch so macht, wenn man entsprechende und ziemlich gute Beweggründe hat.
“Soundphonia”s Songs sind nicht so komponiert, weil man das in dem Genre so macht. Viel mehr macht es den Eindruck, dass sie häufig so komponiert sind, weil man das nicht so macht, obwohl es eigentlich geil wäre. Und das macht Progressivität im Sinne eines Weiterdenkens und (bei Bedarf) Überwindens von Normen aus.
So ist die neuste SONS OF SOUNDS ein Sammelbecken von Ideen, die den Hörer aufhorchen lassen: der seltsame Start und der (unkonventionell) stampfende Chorus von “Frequency Of Life” in dieser Kombination? Das Riff des powerballadig anfangenden “Let It Go”? Der Partychorus von “Streetmutt” nach dem straight abgehenden ersten Teil? Der plötzliche Septakkord und seine Auswirkungen auf die Melodieführung in “Reset”? Nee, all das macht man eigentlich nicht so; umso besser, dass SONS OF SOUNDS es machen und dabei ein krankes Maß an Individual- und Kreativität beweisen. Ganz abgesehen davon, dass auch die “normaleren” Parts des Albums musikalisch einfach Laune machen und ohne die ganzen Experimente noch starke Songs wären.
Um nicht nur zu hypen: “Wolfskind” ist eines der Beispiele, warum man deutsche Texte vermeiden sollte und “Here I Am” ist auf jeden Fall eine nette Ballade, trifft aber nicht ganz den Spirit des restlichen Albums. Dazu eben leichte Soundprobleme und ein paar kleine Ideen, die nicht so ganz zünden.

Fazit:
Ändert aber alles nichts daran, dass man bei der Musik der SONS nur mit expliziter Mühe darum herum kommt, gute Laune zu entwickeln.  Aber das ist einfach oft erfrischend unkonventionell, neugierig, kreativ, voller Liebe zur Musik und mit ordentlich Spaß hinter den Backen entstanden. Oh, und gut gespielt und gesungen. Klarer Fall eines Albums, das man am besten bewusst und aufmerksam – im mindesten aber hören sollte.

Anspieltipps:
“Forever”, “Frequency Of Life”, “Reset” und “Streetmutt”. Ach komm, und “Let It Go”. Und “Time Machine”.

WERTUNG:

 

 

Trackliste:

01. Forever
02. Over
03. Frequency Of Life
04. Let It Go
05. Peace Be With You
06. Wolfskind
07. Streetmutt
08. Time Machine
09. The Dark
10. Flowers On My Grave
11. Reset
12. Here I Am

Jannis

SONOROUS DYNAMO – Scraps Of Ages

Band: Sonorous Dynamo
Album: Scraps Of Ages
Spielzeit: 78:55 min
Stilrichtung: Progressive Rock
Plattenfirma: Orisono
Veröffentlichung: 27.03.2021
Homepage: www.sonorousdynamo.net

Ist ja eigentlich nur konsequent, ein Album, das zehn Jahre in der Mache war, auch erst ein halbes Jahr nach Veröffentlichung zu rezensieren (dennoch Schande über mein Haupt für die Verspätung). Nu, jetzt aber! Denn gemacht werden muss diese Rezension auf jeden Fall, schließlich geht es um “Scraps Of Ages” von SONOROUS DYNAMO. Nie gehört? Keine Sorge, Ihr seid nicht allein, wie ein Blick auf die unter 400 Fans der Truppe auf Facebook beweist. Und das ist der Punkt. SONOROUS DYNAMO sind eine der Bands, die keine Sau kennt, während sie in der Dunkelheit des tiefsten Undergrounds wahnsinnig krasse Sachen erschaffen; in ihrem Fall eben “Scraps Of Ages”, knapp 80 Minuten Spieldauer, 22 Tracks, von denen neun Zwischenspiele sind. Das Ganze in durchkomponiert (jeder Track geht logisch und nachvollziehbar in den nächsten über), höchst angenehm produziert, sauber gespielt und gesungen und intelligent wie eingängig.
SONOROUS DYNAMO machen Progressive Rock, mit aktuelleren Einflüssen wie DREAM THEATER und HAKEN auf der einen Seite und noch deutlich mehr Einflüssen von klassischeren Bands des Genres wie TRANSATLANTIC, EMERSON LAKE & PALMER und IQ. Und während 10 Jahre nach einer übertriebenen Zeit für die Anfertigung eines Albums klingen (wobei man sagen muss, dass die Arbeit auch immer nur an einem Tag pro Woche stattfand, aber trotzdem), hört man dem Ding die Unmengen an Arbeit und Herzblut an, die in jeden Aspekt von ihm geflossen sind. Ernsthaft, nach zwei Minuten Albumdauer ist die Sache schon dermaßen sympathisch, dass jeder Gedanke an zwischenzeitliches Ausmachen dahin ist. “Scraps Of Ages” ist ein musikalisches Mosaik, aus unzähligen individuellen und unterschiedlichen Bestandteilen, die in ihrer Gesamtheit ein absolut beeindruckendes und schlüssiges Bild ergeben. Da hat man je nach Song nach drei Minuten schon zehn verschiedene Stimmungen durch, aber nie wirken die Tracks zusammengeschustert. Die Abfolge der einzelnen Parts ist jederzeit schlüssig und jeder Part, der auf einen ganz anderen folgt, folgt ihm zurecht. Doch ist “Scraps Of Ages” nicht nur in seiner Gesamtstruktur klasse geworden, mit den kleinen wiederkehrenden Motiven, den durchdachten Interludes, der Vielseitigkeit der erzeugten Stimmungen, die von wunderschön positiv bis düster aggressiv alles abdecken. Auch die einzelnen Parts an sich treffen den Nagel auf den Kopf. Das Detailreichtum, die ganzen kleinen Wendungen aller beteiligten Instrumente, die durchweg stark komponierten Melodien, der kluge Einsatz von E-Orgel, Klavier, Streichern, Hörnern und elektronischen Sound und der in den kleinsten Akzenten durchscheinende musikalische Humor (allein dieser winzige E-Orgel-Shot in der “Overture”) – all das trifft bei “Scraps Of Ages” auf ein ausgeprägtes Rhythmusverständnis und einen hammerharten Wunsch nach Perfektion vonseiten aller Beteiligten.

Fazit:
Das Graben im Untergrund kann sich echt lohnen, schließlich wächst Öl nicht an Bäumen (Rhetorik-Highscore ist hiermit geknackt). Und SONOROUS DYNAMO haben hier ein großartig unmodernes Werk geschaffen, das klingt, als stecke eine Band mit 500 mal mehr Fans dahinter, als der Fall ist. “Scraps Of Time” kann sich mit den Outputs der großen Vertreter des Genres locker messen und stellt so manche von ihnen mit links in den Schatten.

WERTUNG:

 

 

Trackliste:

01. Prologue – Instrumental
02. Ouverture – Instrumental
03. Interlude I
04. On My Side
05. Interlude II
06. Where Are The Men
07. Interlude III
08. Timeless Night
09. Interlude IV
10. Sacrifice
11. Interlude V – Instrumental
12. Children
13. Interlude VI
14. Circle Of Fire
15. Interlude VII
16. I Want You To Know
17. Interlude VIII – Instrumental
18. I Can Fly
19. Interlude IX – Instrumental
20. Broken Soul
21. Revolution
22. Epilogue

Jannis